Salzen, trocknen, konzentrieren – Bündnerfleisch
Die geografische und kulturelle Vielfalt der Schweiz prägt die kulinarische. Das ist eine Binsenwahrheit. Was man dabei gerne ausser Acht lässt, ist der Zwang, dass man hierzulande schon immer Lebensmittel konservieren musste. Diese Notwendigkeit wird dringlicher, je heftiger sich die saisonalen Unterschiede auswirken, besonders in alpinen Höhen. Weit entfernt von Siedlungen blieb den Sennen nichts anderes übrig, als Schlachtfleisch und Rohmilch während der Alpsaison rasch in ein Produkt zu verwandeln, das sich halten liess.
Auf solchen Voraussetzungen basieren kulinarische Höhepunkte der Schweiz wie der Extra-Hartkäse Sbrinz, der bereits im 16. Jahrhundert nach Italien transportiert wurde, und natürlich Bündnerfleisch, das gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit dem Aufkommen des Tourismus ausländischen Besuchern aufgefallen war. Der deutsche Reiseschriftsteller Johann Gottfried Ebel notierte in seiner «Anleitung auf die nützlichste und genussvollste Art, die Schweiz zu bereisen» 1793: «Die Luft ist so trocken, dass von Sils bis St. Moritz herab vom Monat October bis Merz alles Fleisch nicht im Rauch, sondern an der Luft gedörrt wird.» Mit den Jahrzehnten entwickelte sich Bündnerfleisch im In- und Ausland zu einem erfolgreichen wie bekannten Produkt, einer Art «flagship food» für die Schweiz.
Am 29. September 2000 wurde Bündnerfleisch als erstes IGP-Produkt – nach L’Etivaz AOP und Ribelmais AOP – im Register der geschützten Lebensmittel der Schweiz eingetragen (geschützte Ursprungsbezeichnung AOP sowie geschützte geografische Angabe IGP). IGP zeichnet Produkte aus, bei denen mindestens ein Schritt des Produktionsverfahrens, in der Regel die Verarbeitung, in einem abgegrenzten geografischen Gebiet ausgeführt wird.
Schlachthaus in Ramosch
Reto Zanetti, der im Sommer 2019 in Ramosch sein neues Schlachthaus eröffnet hat, trocknet auf 1100 Meter über Meer Fleisch aus Graubünden und der Schweiz. In St. Moritz aufgewachsen, hat Zanetti in Scuol die Metzgerlehre absolviert und anschliessend die Rekrutenschule, bevor er sich 1992 zur Übernahme des neu errichteten Notschlachthauses in Ftan bewarb. 2012 übernahm er die Metzgerei in Sent, vor einem Jahr zügelte er die Produktion nach Ramosch, wo er nun einmal pro Woche, jeweils am Montag, Tiere schlachtet. Pro Stunde ein Dutzend Grossvieh.
Zanettis Schlachthaus im Unterengadin zählt zu den grösseren im Kanton, der laut Amt für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit «rund 40 unterschiedlich grosse Schlachtbetriebe zählt, welche zwischen zehn und 1000 Tiere pro Jahr schlachten». Auch wenn Graubünden ein Kanton der langen und tiefen Täler, der hohen Pässe und der weiten Wege ist, erstaunt diese Zahl – im Unterland herrscht der Trend zur Zentralisierung. Lebensmittelverordner auf allen politischen Ebenen forcierten, dass in den Gemeinden die «Schlachthüsli» geschlossen wurden und die Tiere in zentralen Schlachtfabriken zu töten und zu verarbeiten seien, wo modernste Hygienevorschriften gelten, aber kaum Empathie für die Wesen herrscht, die da als «Schlachtvieh» enden.
Mit derartigen Akkordschlächtereien ist Zanettis Betrieb nicht zu vergleichen. «Im Engadin gibts nur Hatecke in Scuol und Samedan und mich in Ramosch, dazu ein kleines Schlachtlokal für Schafe in Zuoz», erzählt er. Bei ihm sollen die Tiere gestaffelt ihren letzten Weg antreten, nicht warten müssen und nie zu viele sein. «Wir sind daran interessiert, dass die Tiere keinen Stress haben.» Und Stress hätten sie rasch einmal in unvertrauten Situationen, «auch beim Alpaufzug, nur sieht das idyllischer aus».
Zanetti schlachtet und zerteilt Kühe, Rinder und Kälber, Lämmer, Ziegen und Wild wie Hirsch, Gämse und Steinbock; Alpschweine aus dem Engadin – «hier gibts keine Mästerei» – und Schweine aus der Region Chur, die in Flums geschlachtet werden, um ihnen keine lange Reise zuzumuten. «Mein Ziel ist es, nur noch Schweine aus Graubünden zu schlachten. Und manchmal bringt ein Jäger ein Reh oder auch ein Wildschwein, das er im Elsass oder so geschossen hat.» Selber kauft er Wild in der Region ein und im Tirol, das ihm vorbereitet geliefert wird, ausgenommen, ohne Kopf und Beine, aber in der Decke.
Den grössten Teil des Fleisches verarbeiten Zanetti und sein Team durch Flüssigkeitsentzug zu Trockenfleisch und Würsten. Etwa zu Bündnerfleisch, Hirschbresaola, Coppa, Schinkenspeck und Rohschinken. Eine besondere Spezialität ist ein Rohschinken ohne Nitrit (das die Farbe des Fleisches rot hält), der mit seiner leicht rosa Farbe und natürlichen Gewürzen an Culatello erinnert. Unter den Würsten dominiert weisser (ungeräucherter) und geräucherter Salsiz wie Haus-, Hirsch-, Steinbock-, Gams-, Wildschwein- oder Goldmelissensalsiz, dann Salami und Salametti, Engadiner Würste frisch und geräuchert sowie saisonale Grillwürste. Zanetti pröbelt auch an neuen Spezialitäten, etwa mit Fleisch vom «Bündner Puurachalb» sowie mit Hanfnüsschen oder -pulver im Wurstbrät. Die grösste Herausforderung in seinem Betrieb sei, im gleichen Raum ungeräucherte neben geräucherten Produkten reifen zu lassen, «denn sie verhalten sich unterschiedlich».
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